Wer sich Anfang April im Fitnessstudio auf die Waage gestellt hat, konnte dort möglicherweise einen schockierenden Gewichtssprung feststellen. Über die Osterfeiertage wird zwar gerne und viel gegessen, doch an plötzlichen Gewichtssteigerungen kann auch die Fitnesswaage schuld sein.
Das Kleidungsgewicht bei Fitnesswaagen
Professionelle Personenwaagen werden nämlich nicht nur in Fitnessstudios verwendet, sondern auch in Apotheken. Dort sind die Kunden allerdings je nach Jahreszeit sehr unterschiedlich gekleidet, weshalb manche Waage ein datumsabhängiges geschätztes Kleidungsgewicht von dem gemessenen Gewicht abzieht. Bei der Fitnesswaage Soehnle Professional 7850 lässt sich dies z.B. per Software einstellen:
Auf dem Screenshot gut zu sehen: Ab April werden nur noch 2,5 kg statt vorher 4,5 kg als geschätztes Kleidungsgewicht („Clothes Factor“) abgezogen. Auf der Anzeige der Waage erscheint nur das korrigierte Gewicht.
Fitnessstudios kennen keine Jahreszeiten
In der Apotheke mag diese recht krude Methode zur Berücksichtigung des Kleidungsgewichts noch Sinn machen, im Fitnessstudio aber nicht: dort hat man immer Sportkleidung an, egal ob draußen ein Schneesturm tobt oder hochsommerliche Temperaturen herrschen. Wurde die Funktion zur Berücksichtigung des Kleidungsgewichts nicht deaktiviert, wird man ab April daher angeblich 2kg schwerer (und im Oktober wieder 2 kg leichter).
Keine Eichpflicht für Personenwaagen in Fitnessstudios
Bei einer geeichten Personenwaage (wie diesen Modellen in unserem Shop) ist eine solche Manipulation des Gewichts nicht erlaubt, zudem dürfen geeichte Waagen bestimmte Fehlergrenzen nicht überschreiten. Für Personenwaagen in Fitnessstudios und Apotheken besteht allerdings keine Eichpflicht. Die Messwerte von Fitnesswaagen sind daher nicht unbedingt genauer als das, was Ihre Personenwaage zuhause anzeigt, auch wenn die Fitnesswaage viel professioneller aussieht. Ob Ihr Studiobetreiber freiwillig eine geeichte Personenwaage einsetzt, können Sie an bestimmten Kennzeichnungen auf der Waage erkennen.
Genauigkeit von Fitnesswaagen prüfen
Falls Sie der Waage in Ihrem Fitnessstudio nicht mehr vertrauen, sollten Sie den Betreiber ansprechen. Evtl. lässt dieser die Waage regelmäßig überprüfen und wird Ihnen in diesem Fall sicher gerne das letzte Kalibrierprotokoll zeigen. Andernfalls können Sie die Waage auch selbst testen: In (fast) jedem Fitnessstudio finden Sie Hanteln, deren Gewichtsscheiben sich zur Überprüfung einer Waage zweckentfremden lassen. Auch wenn diese „Testgewichte“ nicht auf das Gramm genau sind, können Sie damit Abweichungen von mehreren Kilogramm schnell feststellen.
Was kosten die billigsten preisrechnenden Waagen beim Kauf aus China?
Bei der Suche nach „price computing scale“ auf Seiten wie alibaba.com, tradewind.com oder made-in-china-com findet man preisrechnende Waagen mit Verkäufer- und Käuferdisplays und Edelstahl-Wägeplatte zu Preisen ab 10 US$, ohne Edelstahl-Wägeplatte sogar ab 7 US$.
Die größte Übereinstimmung mit unserer Testwaage fanden wir bei einem Anbieter, der keine Preise angegeben hatte und auf unsere Anfrage nicht reagiert hat. Vermutlich hätten wir nicht gleichzeitig nach der CE-Konformität fragen sollen.
Die folgenden Fotos lassen sich durch Anklicken vergrößern.
Überblick
Auffällig ist auf den erster Blick der geringe Metallanteil, die Wägezelle sitzt nahezu direkt auf dem Plastikgehäuse. Übliche EMV-Entstörungsmaßnahmen wie Ferritkerne, abgeschirmte Komponenten oder eine leitfähige Innenbeschichtung des Gehäuses sind nicht zu sehen.
Hauptplatine
Entfernt man die grauen Flachbandkabel, wird deutlich, mit wie wenigen elektronischen Komponenten die Waage auskommt. Bei dem kleineren Chip oben handelt es sich um einen nichtflüchtigen Speicher (EEPROM). Der Mikrocontroller des chinesischen Herstellers Chipsea übernimmt alle weiteren Aufgaben: Analog-/Digitalwandlung, Preisrechenfunktion, Ansteuerung der Anzeigen, etc. Weitere Informationen oder Preise zu diesem Chip waren im Internet leider nicht zu finden, es scheint sich nicht um ein aktuelles Modell zu handeln.
Displays
Die Displays bestehen aus einzelnen Sieben-Segment LED-Ziffern. Diese lassen sich kostengünstig ansteuern, waren bei unserer Testwaage aber schlecht verarbeitet:
Löten statt Stecken
Bei vielen Waagen werden die Leitungen von der Wägezelle nicht gesteckt, sondern gelötet. Die hier verwendete Form des Anlötens an eine Stiftleiste ist allerdings sehr ungewöhnlich:
Anschluss Batterie /Stromversorgung:
Auch die Flachbandkabel sind an einem Ende angelötet:
Der Akku ist nur mit „Yun Da“ beschriftet und ebenfalls angelötet, was nicht wartungsfreundlich ist:
Wägezelle
Die Wägezelle besitzt eine innerstaatliche chinesische Zulassung durch die Provinzregierung Zhejiang (Klasse C3). Bei dem Hersteller scheint es sich um ein kleines Unternehmen zu handeln, weitere Informationen konnten wir bisher nicht finden. Auf einen Überlastschutz wurde vollständig verzichtet, die Wägezelle könnte somit leicht beschädigt werden:
Zum Vergleich hier eine Wägezelle mit einem wirkungsvollen Überlastschutz, wie er in der Marktwaage Adam WBZ verwendet wird:
Es bleiben einige offene Fragen
Für die teuersten Komponenten konnten wir keinen Preis ermitteln, da der Mikrocontroller nicht mehr erhältlich ist und der Wägezellenhersteller nicht im Internet vertreten ist.
Dass die Waage zu extrem niedrigen Lohnkosten gefertigt wurde, zeigt sich an dem Verzicht auf Steckverbinder zugunsten von arbeitsintensiven Lötverbindungen.
Hinter das Thema „elektromagnetische Verträglichkeit“ kann man ein sehr großes Fragezeichen setzten. Mit der elektrischen Betriebssicherheit haben wir uns noch nicht weiter beschäftigt.
Es bleibt auch die Frage, wie diese offensichtlich für die ärmsten Regionen der Welt gedachten Waagen ungehindert auf den europäischen Markt gelangen konnten. Aus China sind selbstverständlich auch hochwertige preisrechnende Waagen mit Bauartzulassung und nachgewiesener CE-Konformität erhältlich, nur eben nicht für 10 US$.
Gerne können Sie einen Kommentar hinterlassen, falls sie zu diesem Thema etwas beitragen möchten.
Wer eine Waage für den Einsatz im Verkauf benötigt, wird im Internet schnell fündig: auf Amazon (Suche nach Ladenwaage, Partnerlink), ebay und in diversen Online-Shops werden Ladenwaagen zu Preisen angeboten, die weit unter denen bekannter Marken liegen.
Was taugen diese Billigangebote?
Um dies herauszufinden, haben wir uns für unter 40€ (inkl. 19% MwSt.) ein als „Ladenwaage“ beworbenes Gerät von einem deutschen Händler auf ebay.de besorgt. Wir waren nicht die Einzigen: Aktuell hat alleine dieser Anbieter bereits 49 Waagen verkauft. Laut Beschreibung und Anleitung deckt die Waage zahlreiche „Einsatzmöglichkeiten für Handel und andere Berufe“ ab. Der Verkäufer hat sich gemäß seiner Eigendarstellung auf „hochwertigste Produkte“ spezialisiert.
Die Waage wurde schnell und gut verpackt geliefert. Die Produktverpackung sah ordentlich aus und das CE-Zeichen weckte die Hoffnung, dass wir keinen Elektroschrott erworben hatten:
Ernüchterung beim Auspacken
Aus der Verpackung kam uns ein sehr unangenehmer chemischer Geruch entgegen, für den hauptsächlich das Netzkabel verantwortlich war. Dieses machte zudem einen etwas geknickten Eindruck:
Die Material- und Verarbeitungsqualität der Waage befand sich auf einem sehr niedrigen Niveau, was besonders auf der Rückseite deutlich wurde. Die Fotos können Sie durch Anklicken vergrößern:
Funktionstest und Genauigkeit
Die Waage soll laut der auf CD mitgelieferten Anleitung so aufgestellt werden, dass die „Wasserwaage im Gleichgewicht in der Mitte“ steht. Bei unserem Exemplar war dies leider unmöglich. Auf einer waagerechten Oberfläche konnten wir die Füße verstellen, wie wir wollten: die Luftblase blieb weit außerhalb der Mitte. Wir mussten uns behelfen, indem wir die Füße vorne komplett abgeschraubt und die Waage hinten auf einen Karton gestellt haben:
Ein kurzer Test mit Eichgewichten zeigte deutliche Abweichungen:
Die zulässigen Verkehrsfehlergrenzen für eine Waage der Genauigkeitsklasse III wurden bei jeder Belastung überschritten:
Belastung
Anzeige
Fehler
Zul. Fehler
2,5kg
2,510
+10g
±5g
5kg
5,015
+15g
±10g
10kg
10,020
+20g
±10g
20kg
20,030
+30g
±15g
30kg
30,035
+35g
±15g
Eine vernünftige Preisberechnung war im Auslieferungszustand nicht möglich, da nur ganzzahlige Grundpreise eingegeben werden konnten (siehe Foto oben, Eingabe war „1“,“1″,“1″.). Über eine im Handbuch angegebene Tasten-/Ziffernkombination ließ sich dies ändern. Beim Experimentieren mit verschiedenen undokumentierten Kombinationen konnten wir übrigens auch den Ziffernschritt von 5g auf 1g umstellen.
Ist diese Waage geeicht?
Wer die Masse (das Gewicht) für „Zwecke des geschäftlichen Verkehrs“ bestimmt oder Preise „nach dem Gewicht für den Verkauf in öffentlichen Verkaufsstellen “ berechnet, muss eine geeichte Waage verwenden (vgl. §7b der Eichordnung bzw. Richtlinie 2009/23/EG seit 20.04.2016: Richtlinie 2014/31/EU). Bei einem als „Ladenwaage“ beworbenen Artikel mit Preisrechenfunktion könnte man daher erwarten, dass dieser geeicht ist.
Ein Blick auf das Typenschild zeigt aber: Die Waage ist weder erstgeeicht, noch ist sie überhaupt eichfähig:
Es fehlen nahezu alle Angaben, die bei eichfähigen Waagen vorgeschrieben sind, so. z.B. die Nummer der Bauartzulassung, der Eichwert „e“ und die Mindestlast „Min“. Ein „CE“-Zeichen ist nirgendwo auf dem Gerät angebracht und ein Hersteller, den man zur Verantwortung ziehen könnte, ist nicht zu erkennen.
Zum Vergleich hier die gesetzeskonformen Angaben auf dem Typenschild der geeichten Ladenwaage KERN RPB (aktualisiert 24.09.2019):
Eine Konformitätserklärung lag der Billig-Waage nicht bei und war auch nicht Teil des Handbuchs. Dies betrifft nicht nur die Waagen-Richtlinie, sondern alle einschlägigen Richtlinien. Somit hätte dieses Gerät vermutlich schon aus Sicherheitsgründen niemals auf den gemeinschaftlichen europäischen Markt gebracht werden dürfen.
Welche Strafen drohen dem Waagen-Käufer?
Der Einsatz einer ungeeichten Waage im geschäftlichen Verkehr ist gemäß deutschem Recht eine Ordnungswidrigkeit. Laut Auskunft mehrerer Eichdirektionen droht ein Bußgeld und die Waage kann eingezogen werden.
Der Betreiber ist zudem für die Sicherheit der in seinem Betrieb eingesetzten Geräte verantwortlich. Werden Menschen durch den Einsatz unsicherer Geräte verletzt, sind bei Fahrlässigkeit oder Vorsatz empfindliche Geld- oder sogar Haftstrafen möglich.
Wie erkennt man nicht-eichfähige Waagen vor dem Kauf?
1. Am Preis: Der intensive Wettbewerb führt zwar seit Jahren zu sinkenden Preisen, eine fabrikneue geeichte preisrechnende Waage unter 100€ ist uns aber bisher noch nicht begegnet. Die Einstiegsmodelle bekannter Hersteller liegen aktuell bei ca. 200€.
2. Am Anbieter: Handelt es sich um einen Waagen-Händler mit langjähriger Erfahrung oder um einen neuen Anbieter, der verschiedenste Geräte unbekannter Hersteller verkauft? Zu den bekannten Marken im Bereich der preisrechnenden Waagen zählen z.B. Avery Berkel, Bizerba, CAS, Dibal, Digi, Kern, Mettler-Toldo und Ohaus.
3. An den Angaben zur Eichung: Bei manchen Verkäufern billigster „Ladenwaagen“ steht irgendwo im Text ein Hinweis darauf, dass diese nicht eichfähig sind. Verlassen können Sie sich darauf nicht, denn bei unserem Testkauf war kein solcher Hinweis zu finden. Achten Sie daher darauf, dass die Waage ausdrücklich als „geeicht“ beworben wird. Die Angabe „Marktwaage“, „Ladenwaage“ oder „preisrechnende Waage“ alleine reicht wie gezeigt nicht aus! Im Zweifelsfall sollten Sie sich vom Verkäufer ausdrücklich zusichern lassen, dass die Waage eine gültige Eichung aufweist und dies nach dem Kauf überprüfen.